Giorgio Agamben – Was von Auschwitz bleibt: Das Archiv und der Zeuge. Homo sacer III (2003)

In Was von Auschwitz bleibt unternimmt Giorgio Agamben eine tiefgreifende philosophische Auseinandersetzung mit dem Holocaust – speziell mit der Lagererfahrung von Auschwitz – als Grenze des Sag- und Denkbaren. Das Buch ist Teil seiner umfassenden Homo sacer-Reihe, in der er das Verhältnis von Macht, Gesetz und Leben untersucht. In diesem Band richtet sich sein Fokus auf das Zeugnis und das Problem der Repräsentation des Unsagbaren.

Agambens zentrale These ist, dass das Konzentrationslager ein paradigmatischer Ort der Moderne ist, in dem sich die äußerste Form von Souveränität manifestiert: die Macht über Leben und Tod, die Reduktion des Menschen auf „nacktes Leben“ (bare life). Auschwitz erscheint nicht als Ausnahme, sondern als strukturbedingte Möglichkeit innerhalb des biopolitischen Machtapparats des modernen Staates.

Ein zentrales Thema des Buches ist das Zeugnis, insbesondere das der sogenannten Muselmänner – derjenigen Lagerinsassen, die physisch und psychisch so zerstört waren, dass sie weder als tot noch als lebendig galten. Für Agamben sind sie „die vollständigen Zeugen“, da sie die Grenze der Menschlichkeit verkörpern. Doch paradoxerweise können sie nicht sprechen – und wer spricht, hat diesen Zustand nicht vollständig durchlebt. Diese paradoxe Situation nennt Agamben „die Aporie des Zeugnisses“:

„Der Muselmann ist die Grenze der Menschheit: der Zeuge schlechthin.“

Agamben beschäftigt sich intensiv mit Primo Levi und dessen Reflexionen über das Zeugnis. Levi selbst schrieb: „Die wirklichen Zeugen sind die, die nicht mehr sprechen können.“ Agamben nimmt diesen Gedanken auf und fragt, was es bedeutet, über etwas zu zeugen, das sich jeder vollständigen Darstellung entzieht – und was das für Geschichte, Erinnerung und Ethik bedeutet.

Auch das Archiv spielt eine zentrale Rolle. Agamben stellt die Frage, was überhaupt bewahrt werden kann – und was es bedeutet, dass Auschwitz einerseits gut dokumentiert ist, andererseits aber im Wesentlichen von dem lebt, was nicht aufgezeichnet wurde. Er unterscheidet zwischen Archiv (den Dokumenten, den Spuren) und Zeugnis (der subjektiven Erfahrung) – und betont die Notwendigkeit, beides zusammenzudenken.

Im Kern ist Was von Auschwitz bleibt eine Untersuchung darüber, wie wir das Unsagbare – das radikal Andere der Lagerexistenz – überhaupt denken, erinnern und ethisch verantworten können. Der Text ist sowohl philosophisch anspruchsvoll als auch zutiefst engagiert. Er fordert nicht nur eine Reflexion über die Vergangenheit, sondern auch über die gegenwärtigen Bedingungen politischer Macht und Menschlichkeit.