Dan Bar-Ons Buch Die Last des Schweigens: Gespräche mit Kindern von NS-Tätern (1993) ist eine tiefgreifende psychologische Studie über die Nachwirkungen des Nationalsozialismus auf die Nachkommen von Tätern. Als erster israelischer Psychologe führte Bar-On in den 1980er Jahren rund 90 Interviews mit Kindern von NS-Tätern in Deutschland. Er stieß dabei auf ein tiefes Schweigen innerhalb der Familien: Die Täter verschwiegen ihre Verbrechen, und die Kinder wagten es oft nicht, Fragen zu stellen. Ein Beispiel ist der Sohn eines Auschwitz-Arztes, der erst durch eine Fernsehsendung von der Rolle seines Vaters erfuhr und dennoch nie mit ihm darüber sprach.

Bar-On identifizierte fünf Phasen, die die Nachkommen im Prozess der Auseinandersetzung mit der Schuld ihrer Eltern durchlaufen: von der Verdrängung über die Konfrontation bis hin zur möglichen Versöhnung. Er betont, dass das Schweigen über die Vergangenheit eine transgenerationale Weitergabe von Traumata begünstigt, die nur durch offene Kommunikation durchbrochen werden kann.

Das Buch ist nicht nur eine Sammlung von Fallstudien, sondern auch ein Plädoyer für den Dialog zwischen den Generationen. Bar-On zeigt, dass das Erzählen und Zuhören zentrale Schritte zur Verarbeitung kollektiver Schuld und zur Förderung von Empathie sind. Seine Arbeit leistete einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland und zur Entwicklung von Methoden der Konfliktbewältigung.