Hans-Hermann Klare

Auerbach. Eine jüdisch – deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebte

Hans-Hermann Klare widmet sich in seiner Biografie über Philipp Auerbach einer bemerkenswerten, aber heute weitgehend vergessenen Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auerbach überlebte mehrere Inhaftierungen in Konzentrationslagern, überstand den Todesmarsch von Auschwitz nach Groß-Rosen und setzte sich nach Kriegsende in seiner Funktion als „Staatskommissar für politisch, rassisch und religiös Verfolgte“ als unkonventioneller Anwalt für die überlebenden Juden ein. Doch sein unermüdliches Engagement machte ihn zur Zielscheibe antisemitischer und politischer Anfeindungen. 1952 nahm er sich nach einem ungerechtfertigten Urteil in einem politischen Schauprozess das Leben.

Klare verknüpft anhand der Biografie Auerbachs gekonnt und detailreich ein tragisches Einzelschicksal mit der Zeitgeschichte und lässt die Nachkriegsgeschichte lebendig werden. Die Leser*innen erfahren viel über das Leben in Deutschland nach der Befreiung und lernen zahlreiche wenig bekannte Details kennen über das schwierige Überleben der Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Besonders eindrücklich ist das Buch, wenn es um den Prozess gegen Auerbach und dessen Hintergründe geht. Es liest sich wie ein Krimi: Am Ende gibt es einen Toten, doch die Täter werden nie zur Rechenschaft gezogen. Am Schicksal Auerbachs wird deutlich, wie die „Zweite Schuld“ – dass ehemalige Täter und Mitläufer der NS-Zeit bald nach Kriegsende wieder im Gerichtswesen wirkten, nun im demokratischen Deckmantel, aber mit der Kontinuität antisemitischen Gedankenguts – zu erneutem Leid und Diskriminierung führte.

Es ist dem Autor gelungen, das unfassbare Leben Auerbachs in einer detaillierten, zugleich spannenden und überaus lesenswerten Biografie darzustellen. Er schildert Auerbach als politischen Menschen, als tatkräftigen und unkonventionellen Kämpfer mit großem Ego, aber auch großem Herzen. Trotz aller Verdienste stilisiert er Auerbach nicht zum Helden, sondern zeigt ihn facettenreich mit all seiner Widersprüchlichkeit, Selbstherrlichkeit und Hybris – als schillernde Persönlichkeit, die aneckte, sowohl mit seiner selbst- und machtbewussten Art als auch mit seinen lauten Forderungen nach konsequenter Entnazifizierung und Bestrafung der Täter.

Dem Autor gelingt eine einfühlsame Charakterisierung, wobei er Auerbachs Verdienste würdigt, aber auf eine Idealisierung verzichtet. Er bringt den Leser*innen die Person Auerbach nahe, ohne die kritische Distanz zu verlieren. Dabei benennt er dessen widersprüchliche Seiten, bietet psychologische Deutungen an, verzichtet jedoch auf eine Pathologisierung dieses schwierigen Menschen. Klare erzählt die Geschichte eines Vergessenen und entreißt ihn dadurch dem Vergessen. Es ist eine Geschichte, die emotional Spuren hinterlässt: Betroffenheit und Scham angesichts der Kontinuität von Täterschaft und Antisemitismus, aber auch Trauer über die verpassten Chancen der „Wiedergutmachung“ und über die Aktualität des Antisemitismus heute.

Als Bürgerin Münchens bleibt insbesondere großes Unverständnis darüber, dass es in der Stadt seines Wirkens keinerlei Gedenken an Auerbach gibt. Es wird Zeit, dies zu ändern und ihm die Würdigung sowie den prominenten Platz in der deutschen Zeitgeschichte zu geben, der ihm gebührt.

Ruth Back
c/o Zeugnis Zeugen